NFM 10-12-2020
Zusammen im Niederspreer Teichgebiet unterwegs: Michael, Elisabeth und Dieter Striese (v. l. n. r.).

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Bürgerforschung in drei Generationen


Der Name Striese ist eine Konstante am Senckenberg-Standort in Görlitz. Dieter Striese kam 1969 als Hobby-Ornithologe an das Naturkundemuseum und brachte seinen Filius mit, kaum dass dieser die Schule besuchte. Der kleine Michael war schon immer mit dem Vater draußen unterwegs gewesen. Und er brachte so einiges an Wissen mit, das er – wie die Liebe zur Natur – an seine eigene Tochter weitergab. So leistete Elisabeth ihr Freiwilliges Ökologisches Jahr im Museum ab…

Herr Striese senior, Sie arbeiten inzwischen 51 Jahre am Görlitzer Naturkundemuseum. Wie kam es dazu?

Dieter Striese: Als Naturliebhaber und Hobby­-Ornithologe war ich viel im Gelände. Eines Tages begegnete ich dem späteren Vizedirektor Hans­-Dieter Engelmann und wir kamen ins Gespräch. Ob ich ihm Schwalbennester besorgen könne, damit er die darin befindlichen Wanzen untersuchen könne, wollte er wissen. Wenige Tage später stand ich mit den gesammelten Proben an seinem Arbeitsplatz. Wir untersuchten die Nester nach allem darin befindlichen Getier. Was sich darin alles fand: zum Beispiel Milben, Flöhe, Käfer, Insektenlarven – und die gesuchten Wanzen. Damals schaute ich mir die erste Schwalbenwanze unter dem Binokular an. Ich war fasziniert.

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Blick auf den Heinrichteich.

Welche Aufgaben hatten Sie?

DS: Zunächst beobachtete ich Vögel, zählte und fotografierte sie, suchte immer wieder die gleichen Stellen zu den gleichen Jahres­ und Tageszeiten auf. Sozusagen Monitoring. 1970 ist unser zweiter Sohn Michael geboren, er war, seit er laufen konnte, dabei und begleitete mich auf meinen Ausflügen ins Niederspreer Teichgebiet.

Michael Striese: Es war eine beseelte Kindheit. Wir sind in der glücklichen Lage, ein vogelkundlich hochinteressantes Gebiet direkt vor der Haustür zu haben. Es gab also immer etwas zu sehen. Inzwischen haben wir bei Senckenberg unterschiedliche Wege eingeschlagen: Mein Vater widmet sich Flöhen, ich beschäftige mich aktuell mit Waschbären und Elchen. Aber wir sind beide nach wie vor begeisterte Hobby­Ornithologen.

Können Sie, Herr Striese junior, sich noch an Ihren ersten Besuch am Museum erinnern? Was war das für ein Gefühl?

 

MS: Die Sammlungsschränke waren größer als jetzt, zumindest kam mir das so vor [lacht]. Tatsächlich war alles ziemlich „groß“. Wir schauten uns die Vogelsammlung an und danach die Präparation. Es war unglaublich, hinter die Kulissen des Museums blicken zu dürfen. Richtig spannend wurde es, als Hermann Ansorge 1980 kam. Anfangs war ich der Ornithologie zugeteilt. Ich erinnere mich zum Beispiel, dass ich die gesamte Vogelbalgsammlung katalogisiert und die Bälge mit neuen Etiketten bestückt habe. Während der Sommerferien waren wir 14 Tage am Museum. Unsere Jugendgruppe führte faunistische Kartierungen durch, wir fingen zum Beispiel Mäuse und bestimmten sie, immer in der Hoffnung, eine neue Art zu finden. Wir waren jetzt Forscher*innen aus purem Spaß an der Freude.

DS: Du wolltest eigentlich schon immer Biologe werden.

Wie ging es dann weiter? Haben Sie das geschafft?

MS: Während meiner ganzen Schulzeit blieb ich am Museum, nach dem Abitur 1989 bekam ich trotz Empfehlungsschreibens des alten Museumsdirektors Wolfram Dunger keinen Studienplatz. Das klappte erst nach der politischen Wende. 1992 nahm ich mein Biologiestudium auf und war immer wieder vor Ort, phasenweise häufiger, da Hermann Ansorge meine Diplomarbeit betreut hat.

Und nach dem Studium?

MS: Ich wollte unbedingt als Freilandbiologe arbeiten und gründete zusammen mit einem Studienkollegen ein Büro für Naturschutz und landschaftsökologische Forschung. Meine Arbeit in der eigenen Firma und mein Ehrenamt am Naturkundemuseum gingen Hand in Hand.

Was machen Sie heute und woran forschen Sie genau?

MS: Wir sind in der Naturschutzplanung, Umweltbildung und Kartierung tätig. So haben wir zum Beispiel das Naturschutzgroßprojekt „Teichgebiete Niederspree-­Hammerstadt“ betreut, im Rahmen dessen einen Pflege-­ und Entwicklungsplan erstellt und die Umsetzung der Maß­nahmen vor Ort überwacht.

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Dieter Striese an seinem Lieblingsplatz im „Homeoffice“. Für die Arbeit zu Hause ist alles bestens organisiert.

Bei Senckenberg sind es die Waschbären. Welche Fragen beschäftigen hier die Wissenschaft?

MS: Waschbären wanderten Anfang der 1990er Jahre in die Lausitz ein und breiteten sich dann rege aus, vor allem in den Teichgebieten. Um 2000 kam noch der Mink. Die Folge war, dass unsere Wasservogelbestände zusammenbrachen. In Kindheitstagen konnte ich mit meinem Vater während des Vogelzugs im Frühjahr oder Herbst sehr viele Arten beobachten – heute findet man fast nur noch Schwäne und Graugänse.

Welche Arten sind selten geworden oder kommen gar nicht mehr vor?

DS: 1988 lebten noch 3100 Paare der Lachmöwe in dem rund 400 Hektar großen Teichgebiet. Weiter kamen 80 Schwarzhalstaucherpaare, Dutzende Tafelenten und Blässrallen vor. Aktuell brüten gerade einmal knapp 25 Lachmöwenpaare im Schutz einer künstlich angelegten Insel. Schwarzhalstaucher haben wir schon 10 Jahre nicht mehr zu Gesicht bekommen, auch nicht als Durchzugsgäste.

MS: Nun ist Niederspree ein europäisches Vogelschutzgebiet und als Flora­-Faun-­Habitat-­Gebiet ausgewiesen. Und so können wir gegen die Prädatoren vorgehen. Im Rahmen eines Förderprojekts fangen wir seit 2017 verstärkt Waschbären. Im ersten Jahr gingen uns 174 Waschbären und 10 Minke in die Lebendfallen, im zweiten Jahr waren es noch 101 und 4. Wir werden uns ihnen zwar nicht mehr entledigen, doch wir können ihren Bestand stark dezimieren.
DS: Das lässt für die Lachmöwen hoffen. Sie werden sehr alt, haben ihre festen Brutplätze, und wir hoffen, so wenigstens eine kleine Population zu erhalten.

Gibt es ähnlich Spannendes von Flöhen zu berichten? Wie kommt man zu dieser Tiergruppe und was untersucht man an ihnen?

DS: Das war quasi Liebe auf den ersten Blick – ich fand die Tiere auf Anhieb interessant. 2500 Arten hat die Wissenschaft bislang weltweit beschrieben. Und man braucht keine Berührungsängste zu haben. Flöhe sind eigentlich wirtsspezifisch, doch sie können auch ihren Wirt wechseln. 95 Prozent sind auf Säuger und nur 5 Prozent auf Vögel spezialisiert: Hundefloh, Igelfloh, Taubenfloh, Hühnerfloh. Fast 50 Jahre beschäftige ich mich mit ihnen und hatte kaum je mit dem Menschenfloh zu tun. Erst seit drei bis vier Jahren tritt er wieder auf, an Wölfen, Füchsen und Dachsen. Offensichtlich kam er mit dem Wolf zurück. Spannend in diesem Zusammenhang ist auch, dass – etwa durch den Vogelzug – immer wieder neue Flöhe zu uns gelangen. So habe ich etliche, in Deutschland nie zuvor beobachtete Arten gefunden. Meine jüngste Entdeckung war ein Vogelfloh des Turmfalken.

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Befällt Huhn und Mensch: der Hühnerfloh Ceratophyllus gallinae. Lebendaufnahme am Nesthöhleneingang.
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Mikroskopische Aufnahme des Hühnerflohs Ceratophyllus gallinae. Diesem Männchen fehlen Segmente am Haftapparat.

Wie viel Zeit wenden Sie für diese Arbeit auf?

DS: Das ist ganz unterschiedlich. Aktuell gibt es viel zu tun: Wir haben vom IZW in Berlin Proben erhalten – Lausfliegen, Zecken und Flöhe –, die von Wölfen ausgekämmt und in Alkohol eingelegt wurden. Die Flöhe habe ich inzwischen separiert, und derzeit bin ich dabei, die Arten zu bestimmen. Das geschieht anhand der Genitalorgane. Bei den Weibchen ist das nicht so einfach. Sie müssen zuerst in die Mazeration, bis sich die inneren Organe aufgelöst haben und die Strukturen erkennbar sind. Aber solche Schwierigkeiten machen eben auch den Reiz der Arbeit aus.

Was gefällt Ihnen an Ihrer Tätigkeit besonders? Wie ist beispielsweise der Austausch mit Ihren Kolleg*innen?

DS: Früher wurde gesammelt, aufgeschrieben, untersucht und notiert, aber um die Zusammenhänge, um das große Ganze hat man sich weniger Gedanken gemacht.

MS: Heute denken wir über die eigene Disziplin hinaus. Die Entwicklung ist eine positive, und so erfahren das Institut und die eigene Arbeit eine größere Bedeutung und Wertschätzung.

DS: Und schließlich ist es einfach schön, hier am Görlitzer Naturkundemuseum mitzumachen, in der Forschung tätig zu sein und sich auszutauschen. Man arbeitet miteinander und kümmert sich umeinander. Selbst der Direktor schaut ab und an vorbei und fragt nach, woran man gerade arbeitet, wie man vorankommt und wie es um die Gesundheit steht. Ich bin schließlich 79! Es geht hier sehr familiär zu und ich fühle mich wohl. Man nimmt mich wahr.

MS: Und wir machen beide die Arbeit nicht an der Zeit fest und sind einfach gerne hier. Wenn man so lange in einem Haus zusammenarbeitet, dann entstehen wahre Freundschaften. Addiert man unser beider Jahre am Museum, nähern wir uns der Zahl 100…


Die werden Sie sicher schaffen!

MS: … plus ein weiteres Jahr. Denn wir haben mittlerweile die dritte Generation ins Senckenberg eingeschleust [schmunzelt]: unsere (Enkel­-)Tochter Elisabeth. In der 9. Klasse hat sie ein Schüler*innen-Praktikum bei Heike Reise in der Malakologie absolviert und die Schneckenfauna im Teichgebiet untersucht. Dies war ihr Einstieg bei Senckenberg. Ihr Freiwilliges Ökologisches Jahr leistete sie ebenfalls hier ab. Und wer weiß, vielleicht findet Sie nach ihrem Veterinärmedizinstudium ja zurück. Mit dem geplanten neuen Institutsgebäude bietet Senckenberg Görlitz noch mehr Potenzial – und sei es „nur“ als Bürgerwissenschaftler*in.

Ich würde es ihr und Ihnen wünschen – dann wären wieder drei Generationen Striese unter einem Dach! Ich danke für das nette Gespräch.

Das Interview führte Thorsten Wenzel.